Wer kennt das nicht. Da geht man an der Eisdiele vorbei. Sieht alles so lecker aus, und dann ist da so eine innere Stimme, die sagt: „Ja, aber der Zucker!“
Und dann ich: „Ja, aber so lecker!
Und die Stimme: „Ja, aber meine schlanke Linie!“
Das Leben könnte so einfach sein. Wenn wir immer klare Entscheidungen treffen könnten, immer genau wüssten, was zu tun ist und einer klaren inneren Stimme folgen würden. Jeder weiß, so einfach ist es nicht. Denn statt der einen klaren Stimme ist da oft ein Gewirr von unterschiedlichen Standpunkten. „Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus bin“, schrieb Sigmund Freund Anfang des 20. Jahrhunderts. Nein, denn in diesem Haus tummelt sich eine ganze Schar von Bewohnern mit unterschiedlichen Meinungen und Bedürfnissen.
Der gesundheitsbewusste Zuckerverächter zählt da noch zu den harmloseren Vertretern. Unangenehmer ist der innere Kritiker, der gerne dann seine Stimme erhebt, wenn etwas schiefgelaufen ist und sich auch ansonsten bemüht das Ich als Hausherren ordentlich fertig zu machen. „Selber schuld“. Hab ich total vermasselt. Hätte ich doch besser wissen müssen. Wenn ich nur nicht… Hätte ich doch damals... Wärst du nur...“ Oder den blockierenden Pessimisten. „Brauchst du dich gar nicht erst zu bewerben auf die Stelle, die nehmen dich sowieso nicht.“
Das sind nur einige Beispiele von inneren Dialogen, wie sie in allen Menschen ablaufen. Manchmal liegen sie offen zu Tage. Das sind dann Zustände des Vor-Sich-Hingrübelns oder quälende Momente des Selbstzweifels. Manchmal melden sich diese inneren Stimmen aber auch so schnell oder leise zu Wort, dass wir sie gar nicht bewusst wahrnehmen. Die widerstreitenden Standpunkte in uns äußern sich dann nur in einer Unfähigkeit klare Entscheidungen zu treffen, im Zögern, in einem unbestimmten Gefühl von Unzufriedenheit. Sie können sich auch in plötzlichen Wutausbrüchen oder anderen Äußerungen innerer Unausgeglichenheit manifestieren. Denn Unentschlossenheit und fehlender emotionaler Balance liegen oft versteckte Konflikte zwischen widerstreitenden inneren Stimmen zu Grunde. Je wichtiger die Frage, vor der wir stehen, umso schwieriger wird es dann klare Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel wenn es um die zukunftsweisende Frage einer beruflichen Neuorientierung geht.
Hier setzt das Modell des Inneren Teams von Schulz von Thun an. Es bietet eine großartige Möglichkeit, sich dieser Vielfalt an Standpunkten und dahinterliegenden Bedürfnissen bewusst zu werden, Abstand zu gewinnen und dadurch wieder handlungsfähiger zu werden. Wenn wir mit diesem Modell arbeiten, lassen wir eine nach der anderen die inneren Stimmen zu Wort kommen, die sich zu einer bestimmten Situation oder Fragestellung melden. Jede erhält eine eigene Identität und wird als kleine Figur mit einer Botschaft aufgemalt.
Nehmen wir das Beispiel einer Frau, die nicht nein sagen kann, wenn sie von Kollegen im Büro gebeten wird, noch schnell etwas für sie zu erledigen. Das führt zu immer mehr Arbeit und zur ständigen Überschreitung der eigenen Grenzen, zu Stress und irgendwann in den Burn-Out. In dem inneren Team dieser Person – ein realer Fall – meldet sich eine „Harmoniebedürftige“ zu Wort und gibt die Botschaft aus „Mach es allen Recht“. Dahinter kann die Frau leicht das Bedürfnis erkennen, von allen geliebt zu werden. Streit will sie deshalb auf jeden Fall vermeiden. Etwas leiser im Hintergrund lässt sich ein „Ressourcenwächter“ vernehmen, der nicht wirklich zu Wort kam. Er hat die Botschaft „Du kannst das nicht alles schaffen. Achte auf Dich selber“. Dann taucht eine dritte Stimme auf. „Dein Leben dreht sich nicht um dich“. Das ist die Aufopferungsvolle, die das Bedürfnis hat anderen zu helfen. Zu ihr findet sich noch eine versteckte Gegenspielerin, eine Freiheitsliebende mit der Botschaft „Lass alles stehen und liegen und gehe auf Weltreise“. Wie genau wir jetzt im Coaching mit so einer Konstellation weiterarbeiten, das würde den Rahmen dieses kurzen Textes sprengen.
Mit dem inneren Team erschaffen wir ein Modell der unterschiedlichen Stimmen und Bedürfnisse unseres Innenlebens, das wir sonst eher als eine chaotische Gemengelage empfinden. Wir stehen oft staunend, manchmal auch erschrocken vor dieser reichen Vielfalt, die in uns schlummert. Wir gewinnen Abstand und können dann verstehend und ordnend sortieren und unseren Job als Chef dieses Teams wahrnehmen. Es geht nicht darum, einzelne Stimmen zum Verstummen zu bringen. Vielmehr versuchen wir Wege zu finden, die widerstreitenden Bedürfnisse in Einklang zu bringen und etwas mehr Harmonie im inneren Team herzustellen.
Klingt abstrakt? Funktioniert aber gut. In meiner ersten Coaching Ausbildung kursierte unter den Dozenten ein Running Gag. Was fällt den Teilnehmern als erstes ein, wenn sie an das im vergangenen Jahr Gelernte denken? Die Antwort: Das Innere Team.